Der Asperger Blog
Mein Leben im Autismus Spektrum

Liebe, Beziehung und Sexualität


Die drei Themen Liebe, Beziehung und Sexualität sind Bereiche über die mir schon sehr früh diverse Fragen gestellt wurden.
Schon vor der Veröffentlichung meiner Biografie schrieben mich Zeitschriften mit eindeutiger Leserschaft an und bekundeten Interesse über diese Themen und darüber ob sie als Autist „möglich“ sind, zu sprechen.
Persönlich habe ich sowohl im Bereich der Sexualität, aber auch der Liebe und Beziehung zahlreiche Erfahrungen gemacht.

Darüber wie es früher war und wie es heute ist, wird es in diesem Beitrag gehen. Und warum meine Antwort an beiden Zeitpunkten wäre: „Klar, warum sollte es nicht möglich sein?“

Frühe erste Schritte

Meine ersten Schritte in Richtung Liebe habe ich wohl als Jugendlicher gemacht. Ich weiß nicht, wie dies anderen Menschen bewusst wird. Mir ist es aufgefallen, dass ich mich in Gegenwart bestimmter Menschen sehr wohl gefühlt habe. Ich verbrachte gerne Zeit mit Ihnen und fühlte mich, wie man sagt „zu ihnen hingezogen“.

Allerdings blieb es damals bei diesen ersten Schritten. Damals hatte ich noch nicht verstanden, dass es nicht die Normalität ist, offen über so etwas zu sprechen. Das Menschen sogar eher mit zurückstoßen reagieren, wenn ich ihnen offen sagte, was ich an ihnen und ihrer Gegenwart schätze und wie ich mich bei ihnen fühle.
Dieser Umstand hat sich heute kaum verändert und ist teilweise noch komplexer geworden, allerdings weiß ich heute, dass die Reaktionen darauf selten etwas mit mir persönlich zu tun haben. Es geht nicht darum, dass ich so offen bin, sondern diese Offenheit ist fremd und ungewohnt, egal von wem sie kommt.

Mit fortschreitendem Alter oder eher mit erreichen der Volljährigkeit kam ich mit verschiedenen Menschen und Umfeldern in Kontakt. Es fiel nicht mehr immer negativ auf, wenn die für mich normale Aufmerksamkeit, die ich jemandem schenke, den ich kennenlernen oder „daten“ wollte, bemerkt wurde. So kam ich durch Zufall mit 18 Jahren auch mit der BDSM Szene in Berührung und fand dort sehr oft die Art von Menschen, denen ich vorher selten begegnet bin.

BDSM

Alleine das Wort BDSM löst ja mittlerweile schon eine Vielzahl von Assoziationen, Meinungen und Voruteilen aus. Machen kommen Bilder von Milliardären und Hubschraubern oder dunkle Keller in den Sinn. Ich würde empfehlen: wir packen all das für den Moment in eine Box und ich erzähle in Ruhe meine Sicht darauf. Oder wir lassen die Box weg.

Wie ich in die BDSM Szene kam und wie meine ersten Erfahrungen dort waren, wird in meiner Biografie schon sehr gut beschrieben.
Worauf ich nochmal näher eingehen will, ist warum diese Szene oder eher die Menschen darin, mich den Bereichen Sexualität, Liebe und Beziehung um so vieles näher gebracht hat.
Und wie meine ganz persönliche Sicht auf die Szene ist und die Menschen, die ich in ihr kennengelernt habe.

Die Antwort ist recht simpel, die Ausführung dann etwas komplexer.
Viele Menschen, denen ich in der BDSM Szene begegnet bin, wollen sich fallenlassen. Sie wollen die Version von sich zeigen, die sich offenbart, wenn sie all die Alltags-Masken und sie die durch die Gesellschaft erwarteten Anpassungen ihres Selbst weglassen.

Was BDSM für mich bedeutete

Für mich bedeutete es, dass ich Menschen kennengelernt habe, die das erleben wollten, was ich täglich erlebe und in diesem Rahmen in der Art sein wollten, wie ich es alltäglich bin.

Plötzlich war meine Offenheit, meine Art ohne Masken durch die Welt zu gehen und meine direkte und ehrliche Kommunikation viel weniger ein Makel, sondern ein Zugewinn, etwas, dass gewollt war.
Meine Ruhe und Souveränität gaben Sicherheit und die technische Sicherheit dessen was ich tat, wurde mit Vertrauen und Hingabe belohnt.
Natürlich nicht ausschließlich, aber überwiegend und das war mehr, als ich jemals erlebt hatte und für mich bis dahin undenkbar.

Hinzu kam die Sexualität, die dort in einer viel größeren Tiefe ausgelebt werden konnte. Mit den Menschen ging es vordergründig nicht um Triebbefriedigung, sondern um das gemeinsame Erleben und Entdecken der eigenen und der Lust des Partners.

Ich hatte massiv weniger das Gefühl nicht hineinzupassen, sondern war mit Allem was mich ausmachte, dort genau richtig und konnte meine Partnerinnen dabei unterstützen, diesem Zustand näher zu kommen.
Und wenn es ums Fallenlassen und um BDSM im Allgemeinen geht, gibt es verschiedene Wege die dorthin führen und die so individuell sind, wie die Menschen, die sie gehen – wie überall sonst im Leben auch.

Wichtig war mir damals wie heute und ich kann es als Tipp nur weitergeben: Erlaubt ist, was beiden gefällt, Lust bereitet und nicht illegal ist.

Heute bin ich nicht mehr im BDSM Bereich. Ich glaube das, was ich dort suchte, habe ich über andere Wege in Menschen gefunden.

Sexualität

Sexualität hat für mich immer mehr mit diesem beschriebenen tiefem Erleben und Entdecken zu tun, als mit Triebbefriedigung.
Ich finde es aufregend, leidenschaftlich und sehr lustvoll dies mit jedem neuen Partner neu zu entdecken.
Es gefällt mir sehr, zu sehen wie meine Partnerin sich fallenlassen kann aufgrund dessen, was wir zusammen erleben. Wie ihr Körper auf unterschiedlichste sexuelle Erregung und Stimulationen reagiert, die sich kaum durch Vorspiel oder Hauptakt zusammenfassen lassen.

Ich habe mich immer schon sehr damit auseinandergesetzt und viel ausprobiert. Dabei habe ich nichts gescheut und keine Vorurteile beachtet. Viele Sinne ansprechen, neue Wege, Praktiken, Spielzeuge und Dergleichen auszuprobieren und den Horizont nach und nach zu erweitern, das hatte schon mit 18 und hat bis Heute eine große Bedeutung für mich und in meiner Sexualität.
Und wenn man sich damit beschäftigt und aufmerksam aufeinander eingeht und zusammen ausprobiert, zuhört und kommuniziert, gibt es in dem Bereich so wahnsinnig viel zu entdecken.

Egal ob im BDSM Kontext oder nicht. Man kann diese Art der Sexualität ausleben und erweitern. Ich hatte viele Partnerinnen die ich durch den BDSM Bereich kennenlernte, aber auch welche, die damit gar nichts zu tun hatten. Allen war jedoch gemein, dass die tiefen Ebenen gemeinsam zu erleben, etwas war, was selten bekannt aber immer sehr geliebt wurde.
Tatsächlich war diese Ebene so selten bekannt, dass ich es nicht nur ein Mal erlebt habe, dass eine Partnerin nach dem Erleben vor Glück weinen musste.

Die Frage, ob eine erfüllende Sexualität als Autist möglich ist, kann ich für mich daher mit einem sehr deutlichen Ja! beantworten.

Liebe und Beziehung

Das Thema Liebe und Beziehung war früher schwer. Das hatte aber weniger mit dem Autismus, sondern mehr mit mir selbst zu tun.
Nach dem Verlust meiner Großeltern und der Dauertherapie danach habe ich mich immer mehr von meinen Emotionen entfernt.
Wer das Kapitel über meinen Großvater aus meiner Biografie kennt, der wird jedoch keinen Zweifel haben, dass Liebe für Autisten möglich ist.
Und wer zwischen familiärer Liebe und romantischer Liebe unterscheiden will, dem kann ich auch bestätigen, dass romantische Liebe erlebbar ist und Beziehungen geführt werden können.
Wer meinen Text über meine Liebe zur Musik kennt, weiß, dass Liebe auch in anderen Bereichen ein großer Teil des Lebens sein kann.

Selbst als ich so weit entfernt von meinen Emotionen war, gab es Menschen, die mich so stark fasziniert haben und zu denen es mich so kraftvoll hinzog, dass ich von Liebe sprechen würde.
Bevor meine Zeit mit Sophie sich so schmerzhaft und verletzend für mich verändert hat, war ich über die Maßen glücklich sie in meinem Leben zu haben. Ich genoß jeden Augenblick mit ihr und auch wenn das darauf folgende mich über Jahre hin verfolgte, war dies bei ihr zu spüren und mit ihr zu erleben, wunderschön.
Was konnte meine Liebe dafür, dass dieser Mensch schlecht mit ihr und mir umging.

Auch andere Menschen, vor der PEM und während der BDSM Zeit haben ähnliches in mir ausgelöst. Mit manchen konnte ich dies sehr genießen, teilweise über viele Monate.

Kommunikation

Beim Thema Liebe und in (romantischen) Beziehungen sind die Themen Kommunikation und Offenheit meiner Meinung und Erfahrung nach besonders wichtig.

Niemals und damit meine ich wirklich kein einziges Mal habe ich erlebt, dass gegenseite Liebe oder eine Beziehung funktioniert haben, wenn ich nicht offen kommuniziert habe oder es nicht konnte.
Nehmen wir die Autismus Diagnose als Beispiel. Wenn ich das erwähne und das Gegenüber bricht daraufhin den Kontakt ab (passiert erschreckend oft), wusste ich, es liegt an Vorurteilen und es wäre mit diesem Menschen nicht gut gegangen.

Zu mir gehören nun einmal verschiedene Facetten, ebenso wie zu jedem anderen Menschen auch. Beispielweise sage ich offen und ehrlich wenn mir jemand gefällt. Und was mir an dem Menschen gefällt. Das steht erstmal für sich und dient nicht für die Ableitung von der Art oder Tiefe der Beziehung die ich sehe oder anstrebe. Es ist das, was mir an dem Menschen auf- und gefällt, nicht mehr und nicht weniger.
Wer also die ehrliche Kommunikation nicht fürchtet, findet darin mitunter viel über sich selbst durch die Augen des Anderen heraus.

Das gepaart damit, dass ich keine Spielchen spielen will oder kann führt uns zum nächsten Punkt.

Offenheit

Offenheit und der Mut etwas Neues kennenzulernen und sich auf etwas Neues einzulassen sind Qualitäten, welche die meisten meiner Beziehungspartnerinnen besaßen.
Generell halte ich es für wichtig, dass man alte Erfahrungen nicht auf neue Menschen projeziert und nicht versucht anhand von eben diesen Erfahrungen genau vorherzusehen, wie es sich mit dem neuen Menschen entwickeln wird.

Jeder Mensch ist anders. Und es ist schwer sich auch nach Verletzungen immer wieder neu zu öffnen. Es erfordert oft gemeinsame Arbeit und auch Gespräche. Kommunikation und die eigene Offenheit. Schafft man es und hat dazu noch den Mut herauszufinden wie es mit dem inidividuellen Menschen funktionieren kann, dann steht einer erfüllten Beziehung wenig im Wege. Und ich vermute mal vorsichtig, dass dies nicht nur auf Beziehungen mit Autisten zutrifft.

Wer eine Beziehung mit mir hatte, wusste immer woran er ist. Manche denken ja sie würden per se verletzt werden, wenn sie in einer Beziehung mit jemanden sind, der überwiegend ehrlich und direkt ist.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass das Gegenteil der Fall ist.
Denn ich für mich bin nicht ehrlich um Makel vorzuführen oder zu verletzen, sondern ich bin es, weil Charakterzüge, Eigenschaften oder andere Dinge an der Person mich faszinieren oder zu ihr ziehen. Und ich sage diese Sachen sehr gerne. Seien wir ehrlich, diese Sachen werden viel zu selten gesagt, obwohl sie so zahlreich in Menschen vorhanden sind.

Liebe und Beziehungen haben in meinem Leben also ihren Platz, noch mehr seit ich die PEM mache und ich mir dadurch viel bewusster über meine Emotionen und die Emotionen anderer Menschen bin.

Tipps von mir

Wenn es um Sexualität, Liebe und Beziehung geht kann ich euch ein paar Sachen sagen, die für mich funktionieren und die ich als Tipp weitergeben würde:

  • Authentizität
    Sich verstellen oder so zu tun als wäre man jemand, der man nicht ist, hat bei mir nie funktioniert. Vor allem habe ich mich immer gefragt, will ich das bei einem Partner wirklich (und dann ja auch andauernd) tun müssen?
  • Sich eingestehen, wenn Jemand im Grunde garnicht passt
    Manchmal ist es gesünder drohendes Unheil oder Verletzungen zu vermeiden, als in der Hoffnung in sie hineinzulaufen, dass es schon irgendwie funktionieren wird.
  • Ehrlichkeit, auch mit der Diagnose
    Es bestehen noch viele Vorurteile über Autimus. Wenn ich erklären konnte Wer und Wie ich als Mensch bin und dass dies mehr ist als irgendeine Diagnose, kamen oft sehr schöne Zeiten dabei heraus.
  • (sich) Ausprobieren
    Findet das, was bei Sexualität, Liebe und Beziehung zu euch passt. Geht euren Weg und danach, was sich für euch richtig anfühlt, egal was andere Menschen sagen. Es geht dabei um Euch und Euer Leben.
  • Geduld
    Manchmal braucht es lange, einen passenden Partner zu finden. Oder eine passende Art der Sexualität. Teilweise nahm auch ich schon an sowas gäbe es für mich nicht. Und doch hat sich immer wieder gezeigt, dass mit Geduld auch Menschen kommen, die passen.

Ich wünsche Euch, dass ihr euren Weg in den Bereichen Sexualität, Liebe und Beziehung findet. Ihr Verletzungen gut übersteht und nicht die Hoffnung verliert.
Und ich hoffe, das euch dieser Einblick in meine Erfahrungen in eurem Leben oder für die Fragestellung ob diese Dinge möglich sind, hilfreich ist.

Aaron

Aaron

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