Der Asperger Blog
Mein Leben im Autismus Spektrum

Das schwere Thema Familie


Das Thema Eltern bzw. Familie ist für mich kein leichtes Thema. Es ist so facettenreich und es gibt so viele unterschiedliche Konstellationen und Ansichten, dass ich bezweifle allen gerecht zu werden.
Trotzdem möchte ich es ansprechen und meine Erfahrungen aus dem Privaten und Beruflichen Kontext wiedergeben.

Zur Unterstützung habe ich mir eine Portion Sushi liefern lassen (ich liebe Sushi). Wie immer bei meinen Beiträgen, werde ich anfangen und drauf los schreiben und am Ende kommt etwas ehrliches dabei heraus.
Jedoch etwas, was meiner Wahrnehmung entspricht, die bei Anderen anders sein kann.

Zwei Welten

Die Beziehung zu Eltern und Verwandten ist einmalig. Sie begleitet viele von uns einen großen Teil unseres Lebens. Unterstützung, Wohlwollen und Liebe gibt es ebenso wie Streit, Unverständnis und Wut.

Wenn ein Verwandter im Autismus-Spektrum ist, man selbst aber nicht oder man selbst im Autismus-Spektrum ist, die Verwandten aber nicht, treffen oftmals zwei Welten aufeinander.
Diese sind durch die Verwandtschaft oft näher beieinander.
Das kann sich sowohl positiv als auch negativ auswirken.

Es gibt Beziehungen in diesem Kontext die vollkommen intakt sind und ebenso gibt es Beziehungen die zerrüttet sind.
Manche Dinge werden nie ausgesprochen oder nie geklärt.

Ich würde meine Beziehung zu meiner Familie als schwierig bezeichnen, zumindest die meiste Zeit meines Lebens. Mittlerweile wird sie besser, anders, baut sich auf einer anderen Ebene neu auf.
Man könnte sagen die alte Beziehung wurde beendet und eine neue baut sich gerade auf.

Das zwei Welten aufeinander prallen ist mir die meiste Zeit meines Lebens sehr deutlich bewusst gewesen. Gerade als ich noch nicht diagnostiziert war, war alles sehr schwer und kompliziert. Für beide Seiten.

Meine Welt

Es gab früher ab und an in meinem Leben ein paar Gedankenspiele, wie es wäre, nicht im Autismus-Spektrum zu sein. Dabei habe ich mir viele Fragen gestellt, zum Beispiel:
Was würde das ändern?
Wo hätte ich es leichter?
Wie ist es von Menschen nicht vordergründig als behindert wahrgenommen zu werden?
Wie wäre mein Leben verlaufen?
Würde es mir besser gehen?
Wäre ich glücklicher?

Seit ein paar Jahren kommt dies überhaupt nicht mehr vor. Ich fühle mich wohl und richtig, genau so wie ich bin.
Damals wie heute wollte ich nie wirklich nicht im Autismus-Spektrum sein.
Oder besser gesagt ich wollte nie, nicht ich selbst sein.

Autismus ist ein Teil meines Lebens, ein Teil meiner Persönlichkeit. Diese umfasst aber noch so vieles mehr, so viele Facetten, Ansichten, Eigenarten, Charakterzüge und all das, was einen Menschen ausmacht.
Manches wird vom Autismus berührt, vielleicht auch durch ihn geprägt, jedoch gehört wie er auch, alles zu mir und macht mich als Menschen aus.

Der Gedanke diesen Menschen, das, was ich bin, anzupassen oder in Richtung einer – durch wen auch immer definierten – „Normalität“ zu verändern ist absurd. Ich wäre nicht der selbe, der ich heute bin.
Und ich bin verdammt stolz auf die Person die ich heute bin.

Früher bin ich oft angeeckt und habe mit dem wie ich war oft Unverständnis hervorgerufen. Auch und gerade in meiner Familie. Es gab oft Streit, weil ich viele Dinge anders sah oder gehandhabt bzw. für mich definiert habe.
Das fing bei sozialen Kontakten an, ging über Freizeit Interessen weiter und hat auch bei der Berufsfindung nicht aufgehört.

Ich habe noch nie Dinge gemacht „weil man sie eben so tut“.
Oft habe ich alles hinterfragt und meinen eignen Weg gesucht. Habe vieles ausprobiert und vieles verworfen. Bin neugierig in die Welt gegangen und oftmals geschunden wiedergekommen. Und trotzdem blieb ich offen und neugierig, vertraue anderen Menschen und habe mich nie anpassen oder zurückwerfen lassen.

Beruflich habe ich viel ausprobiert und viel verworfen. Beziehungs- und Verhaltenstechnisch, sexuell und auch in vielen anderen Bereichen. Und oft bekam meine Familie diese Bereiche mit und nicht selten waren Sie vollkommen anderer Ansicht oder passte meine Welt nicht zu der Ihren, weshalb es Streit und den Kampf gab, welche Welt richtig wäre.

Die Welt meiner Familie

Meine Familie hat stets versucht mich bestmöglichst zu unterstützen. Besonders meine Mutter.
Ich hatte keine leichte Kindheit, war oft in Behandlungen, es gab viele Therapien und Untersuchungen und noch mehr Ärzliche oder anders fachliche Meinungen über mich.

Es gab viel Unwissenheit, sicherlich auch Unsicherheit, warum ich zum Beispiel schon im Kindergarten oftmals alleine spielte.
Warum ich mich nicht verkleiden wollte oder nichts von Kindergeburtstagen hielt.
Aus welchem Grund ich nicht einfach eine Ausbildung fand und so große soziale Probleme hatte. Weshalb ich wenig Freunde hatte und kaum richtige Beziehungen.
Warum ich vieles so viel anders tat als andere Menschen meines Alters, meine Schwester oder meine Familie es taten oder getan hätten.

Ich stelle es mir als Eltern oder Familie herausforderd vor. Besonders wenn sie im Grunde das ihrer Meinung nach Beste für ihr Kind wollen.
Wenn Sie überflutet werden mit der vielzahl an teilweise gut gemeinten Ratschlägen, Erfahrungen von anderen Menschen, ärzlichen Empfehlungen, therapeutischen Meinungen und vielleicht den eigenen Lebenserfahrungen.

Gerade in der Entwicklung kann jede Entscheidung verheerende Konsequenzen haben, nicht zu entscheiden aber ebenso.
Manchmal spricht das Kind nicht, manchmal fragt man nicht, manchmal denkt man, man weiß es besser, weil man mehr vom Leben gesehen hat.

Und gerade wenn die Welt des Kindes anders ist als die eigene oder die derer, welche diese Ratschläge geben, können Entscheidungen die richtig wirken sich als falsch oder gar schädlich herausstellen.
Oftmals ist diese Situation für Eltern auch vollkommen neu in ihrem Leben.
Man will das Kind schützen und gleichzeitig voranbringen und es bestmöglichst auf das Leben vorbereiten.

Viele der Punkte trafen sicherlich auf meine Familie zu und vielleicht ja auch auf die von anderen Menschen im Autismus-Spektrum.

Wie finden zwei Welten zueinander?

Meine Familie hat nicht immer die Entscheidungen getroffen, die für mich optimal gewesen wären. Sie haben auch nicht nur falsche Entscheidungen getroffen.
Es gab viel Streit wegen Entscheidungen, weil im Endeffekt mein Leben durch sie geprägt wurde und ich es mir anders gewünscht hätte.

Allerdings war ich auch 26 Jahre lang ohne konkrete Diagnose und schon von Anfang meines Lebens an begleiteten ich und meine Welt meine Familie.
Schon bevor ich selbst wusste und formulieren konnte, was und wohin ich will, mussten meine Eltern Entscheidungen treffen die mein Leben stark beeinflusst haben.

Auf viele daraus resultierenden Erfahrungen hätte ich gerne verzichtet, hätte mir andere Entscheidungen gewünscht und fragte mich ein ums andere Mal, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte es andere Entscheidungen gegeben.

Jedoch lässt sich (m)ein Leben nicht rückwirkend ändern.
Und wenn ich sehe wo ich heute stehe, mit all dem Mist den ich teilweise erlebt habe, würde ich eine Änderung trotzdem nicht wollen.
Denn ich mit meinen Erfahrungen kann jetzt daran arbeiten, dass andere Menschen andere, vielleicht bessere Erfahrungen machen.

Für die Beziehung zwischen meiner Familie und mir hat es einen Neustart gebraucht.
Die Beziehung zu dem behinderten Kind, für welches Entscheidungen getroffen werden müssen, was aber nicht mehr in der Form existierte, musste beendet werden.

Dies geschah bei mir im Rahmen einer offen kommunizierten Kontaktunterbrechung, in der ich klar gemacht habe, dass ich dieses Kind nicht mehr bin. Ich habe kommuniziert, dass ich ein erwachsener Mann bin, zwar mit einer Behinderung, aber dennoch mit eigenen Wünschen, Träumen, Vorstellungen, einem eigenen Charakter und einem eigenen, selbstbestimmten Leben.

Dies war schmerzhaft und sicherlich für beide Seiten nicht leicht, aber es wurde akzeptiert so lange wie es gebraucht wurde.

Und dies gab mir und somit auch meiner Familie die Chance aus dem alten Beziehungsgeflecht auszubrechen und nicht zu versuchen etwas so eingefahrenes zu verändern.
Statt der Veränderung konnte so begonnen werden eine neue Beziehung aufzubauen, in der man sich von Anfang an anders wahrnahm. In der man akzeptieren musste, dass es neue Bilder von dem Stand und der Persönlichkeit des anderen braucht.
Dieser Ansatz funktioniert, nicht immer perfekt, aber besser als alles was davor vorhanden war.

Meine Tipps für Familien

Nach der Veröffentlichung meiner Biografie haben mir viele Eltern von Autisten geschrieben, dass sie durch mein Buch offener für ihre Kinder geworden sind.
Ich schreibe dies meiner Offenheit in dem Buch, mit der ich meine Sicht der Welt beschrieben habe, zu.

Wenn mich nun Eltern nach Tipps fragen, kann ich aus meiner Sicht die Punkte sagen, die mich früher weiter gebracht hätten und diejenigen, die mich und meine Familie heute im Vergleich zu damals weiter bringen.

  1. Sprecht mit euren Kindern und berücksichtigt ihre Welt, auch wenn sie der euren oder dem was euch andere raten widerspricht.
  2. Sprecht mit anderen Menschen im Autismus-Spektrum deren Welt der von eurem Kind ggf. etwas näher ist als eure eigene. (Zum Beispiel in Facebook Gruppen, Foren, o.ä. Anlaufstellen die sehr offen und hilfsbereit sind. Es gibt da sehr viele)
  3. Sucht den Rat von Menschen die euer Kind in seiner Individualität fördern und es nicht anpassen wollen zum Beispiel an ein gesellschaftliches Bild von Normalität.
  4. Sprecht mit Fachkräften, die sich beide Welten ansehen und beide Welten versuchen in einen Einklang zu bringen. (Hier will ich Frau Ina Eichholz empfehlen, die meiner Einschätzung nach eine gute Ansprechpartnerin ist.)
    Website
    Facebook
  5. Sucht Angebote, die euch dabei helfen euer Kind besser zu verstehen und euch näher an seine Welt bringen.

Abschluss für Familien und Autisten

Abschließend möchte sind mir noch ein paar letzte Dinge wichtig zu sagen.
Jeder Mensch ist anders, jeder hat seinen eigenen Lebensweg und seine eigene Weltwahrnehmung die für ihn ebenso real ist, wie eure für euch.

Menschen machen Fehler, Familien machen Fehler, auch Menschen im Austimus-Spektrum machen Fehler (ich zumindest).
Nach meiner Erfahrung lohnt es sich, zu schauen, wie man es zukünftig besser machen kann und dazu gehört eine Offenheit von beiden Seiten.

Familien wollen oftmals das Beste bei ihren Entscheidungen und seltenst vorsätzlich ihrem Kind schaden. Und Menschen im Autismus-Spektrum haben so wie jeder Mensch das Recht in ihrer Individualität wahrgenommen, gefördert und akzeptiert zu werden.

Wir sind alles Menschen und auch in einer Familie sollten wir uns dementsprechend gleichberechtigt und fair behandeln.

Ich kann es nur empfehlen.

Aaron

Aaron

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